Herbsttagung 2022
Veranstaltungsort
Anthroposophisches Zentrum Kassel
Wilhelmshöher Allee 261
34131 Kassel
Deutschland
„Es kann ja alles sein, was Sie da sagen. Aber wenn ich mich mit meinem Seelenleben beschäftigen soll, muss ich mich ja mit mir beschäftigen, also mit jemandem, den ich gar nicht mag!“
(Freigegebenes Zitat einer Patientin)
Ein Interview Dr. med. Nina Klinger, Fachärztin für Allgemeinmedizin und ärztliche Psychotherapeutin. Weiterbildung Heileurythmie für Ärzte, Anthroposophische Ärztin GAÄD. Leitung Schmerz- und Suchtmedizin am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe. Die Fragen stellte Ursula Hirt.
Schmerz-Haft
und Befreiung durch äußere und innere Bewegung
Schmerz tritt im Zusammenhang mit Krankheit auf. Wird "Chronischer Schmerz" zu einem eigenen Krankheitsbild? Wie sehr wird der physische Schmerz zur psychischen Belastung? „Falsche Fragen, zumindest beim Erstgespräch“, sagt Dr. med. Nina Klinger, leitende Ärztin der Station Integrative Schmerz- und Suchtmedizin am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe. Gemeinsam mit weiteren Ärzt:innen der GAÄD bereitet Sie die Herbsttagung vor, zum Thema „Chronischer Schmerz“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nimmt uns der Schmerz in Haft oder gelingt es uns, ihn im Sinne Adalbert Stifters zu nutzen?
Mit seinen vielen Gesichtern ruft Schmerz nach seiner Auflösung, will Veränderung bewirken, macht oft auch auf unbewusste, schwer anzugehende Lebensthemen aufmerksam. Und so ist die Schmerztherapie ein komplexes Feld, das nur in interprofessioneller Zusammenarbeit gelingen kann: „Ich muss und kann das nicht alleine lösen“ ist dabei ein Grundsatz, dessen sich Ärzt:innen und Therapeut:innen wie Pattent:innen immer wieder bewusst werden können.
Schon allein die Aussicht, nicht allein zu sein, kann Patient:innen Hoffnung und den Impuls geben, sich facettenreiche Hilfe zu holen, und neugierig auf ihr Innenleben machen - gerade wenn wie so oft stärkste Schmerzen mit den höchsten Ansprüchen an die eigene Leistungsfähigkeit einhergehen. In der therapeutischen Gemeinschaft finden und entwickeln Patient:innen innere Freiräume, um mit Depressionen, Angst oder beruflichen und privaten Belastungen umgehen zu können, die oftmals im Zusammenhang mit (chronischen) Schmerzen stehen.
Und für uns ärztliche und therapeutische Kolleg:innen bedeutet die therapeutische Gemeinschaft eine Chance: wir tragen die Verantwortung für unsere Patient:innen gemeinsam, lernen Neues und schöpfen Kraft – für unsere Patient:innen und für die eigene Arbeit.
Basierend auf einem differenzierten Menschenbild und mit einem vielfältigen Spektrum an therapeutischen Ansätzen schafft vor allem auch die Anthroposophische Medizin eine ideale Basis: Arzneimittel, äußere Anwendungen, Kunsttherapie, Musiktherapie oder Heileurythmie u.a.m. bieten eine breite Palette an Möglichkeiten für eine wirksame, individuelle Schmerztherapie.
Die Fortbildung wurde von der Landesärztekammer in Hessen akkreditiert
Freitag | 4 Punkte |
Samstag | 6 Punkte |
Sonntag | 3 Punkte |
Die Akkreditierung der Veranstaltung bei der Akademie Anthroposophische Medizin GAÄD:
Stunden Stufe B | 12 |
Stunden Stufe C | 6 |
Eigenarbeit/Selbsstudium (s. Anerkennungsordnung A.2) |
18 |
Freitag, 18. November 2022
13:00 |
Ankommen |
14:30 |
Begrüßung Betrachtung - Schmerz und Beziehung |
15:00 |
Formen des Schmerzes* - Pathophysiologie |
15:45 |
Pause |
16:15 |
Multimodale Schmerztherapie*Dialog |
17:00 |
Raumwechsel |
17:15 |
Arbeitsgruppen |
18:00 |
Abendpause |
19:30 |
Schmerz | begegnen – verstehen – behandeln*öffentlicher Vortrag |
|
Künstlerischer Abschluss |
21:00 |
Ende |
Samstag, 19. November 2022
08:15 |
sich bewegen - Heileurythmie | Atemtherapie | Musiktherapie |
08:45 |
Raumwechsel |
09:00 |
Multimodale Schmerztherapie* - Fallbeispiele aus der Praxis |
10:00 |
Pause |
10:30 |
Multimodale Schmerztherapie* - Musiktherapie |
11:00 |
Journal-Club: Studien zur Anthroposophischen Schmerztherapie |
11:40 |
Pause - Durchatmen |
12:00 |
Multimodale Schmerztherapie* - Heileurythmie |
12:30 |
Mittagspause |
14:30 |
Medikamentöse Schmerztherapie – Überblick und Austausch |
15:15 |
Kolloquium zum Vortrag |
15:45 |
Pause |
16:15 |
Arbeitsgruppen |
18:00 |
Abendpause |
19:00 |
Kairos Rehabilitation Center*Bericht, englisch; übersetzung auf Anfrage |
ab |
schmerzfreibuntes Nachtcafé mit Beiträgen der Teilnehmer:innen |
Sonntag, 20. November 2022
08:15 |
sich bewegen - Heileurythmie | Atemtherapie | Musiktherapie |
08:45 |
Raumwechsel |
09:00 |
AconitBryophyllum argento cultum |
10:00 |
Pause |
10:30 |
Schmerzende Gelenke |
11:15 |
Pause - Durchatmen |
11:30 |
Therapeutisches Kolloquium |
12:30 |
Künstlerischer Abschluss |
12:45 |
Ende |
* Vortrag mit anschließender Aussprache
Änderungen des Programms vorbehalten
1 |
Schmerz in der Kindheit |
Heike Kunze-Kronawitter, Sonja Koch |
2 |
Kollegiale FallberatungAustausch zu eigenen Fällen |
Philipp Busche |
3 |
Heileurythmie |
Ingrid Hermansen |
4 |
Psychotherapie |
Nina Klinger, Kordelia Kunisch |
5 |
Muskuloskelettaler Schmerz |
Michael Neuhaus |
6 |
Perioperative Wesensgliederkonstellation und Bedeutung
|
Luisa Peter |
7 |
Äußere Anwendungen |
Christiane Eberhardt, Jörg Eberhardt |
8 |
Endometriose und Schmerz |
Bettina Schulz |
9 |
Musiktherapie |
Stefan Kühne |
Philipp BuscheFA Innere Medizin und Gastroenterologie, Arlesheim (CH) |
Stephan KühneDiplom-Musiktherapeut, |
Dr. med. Marion DebusFÄ Innere Medizin, Hämatologie und |
Kordelia KunischAtemtherapeutin AFA,
|
Jörg EberhardtFA für Anästhesie, niedergelassen, Eggstätt |
Dr. med. Heike Kunze-KronawitterFÄ für Anästhesiologie und Intensivmedizin, LMU Klinikum Großhadern, München |
Christiane EberhardtGesundheits- und Krankenpflegerin, Klinik Arlesheim (CH) |
Dr. David McGavinAllgemeinmedizin, Schmerztherapie, Leiter Kairos Rehabilitation, Maidstone (GB) |
Prof. Dr. med. Friedrich EdelhäuserFA Neurologie, |
Dr. med. Michael NeuhausFA Orthopädie, |
Dr. med. Robert FitgerFA Neurologie und Allgemeinmedizin, |
Dr. med. Luisa PeterFÄ Viszeralchirurgie, Zentralklinik Bad Berka |
Dr. med. Matthias GirkeFA Innere Medizin, Berlin; Leiter der |
Dr. med. Bettina SchulzFÄ Frauenheilkunde und Geburtshilfe, |
Ingrid HermansenHeileurythmistin, Projektkoordinatorin Kairos Rehabilitation, London (GB) |
Georg SoldnerFA Kinder- und Jugendmedizin, stellv. Leiter Med. Sektion Goetheanum, Dornach (CH) |
Dr. med. Nina KlingerFÄ Allgemeinmedizin, Psychotherapie, Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin |
Astrid SternerFÄ Allgemeinmedizin, |
Dr. med. Sonja KochFÄ für Anästhesie, |
|
Ärzt:innen/Pharmazeut:innen/approb. Psychotherapeut:innen | 350,– |
Ärzt:innen/Pharmazeut:innen/approb. Psychotherapeut:innen Mitgl.1 | 295,– |
Assistenzärzt:innen3 | 195,– |
Assistenzärzt:innen Mitgl.1,2,3 | 170,– |
Therapeut:innen und Pflegende | 195,– |
Studierende / Auszubildende3 | 50,– |
Studierende Mitgl.1,3 | 30,– |
Andere Berufe | 300,– |
1 Mitglied GAÄD oder einer ausländischen anthroposophischen Ärztegesellschaft. 2 Vorzugsangebot für Ärzt:innen Neumitglieder „Einsteigerpaket“. 3 mit Nachweis zur Ausbildung
Mittag- und Abendessen (Fr-Sa) 50 € (15,00 € für Studierende). Plätze sind begrenzt. |
Bei Stornierung berechnen wir eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von mindestens 30,– Euro. Ab 2 Wochen vor Veranstaltungsbeginn stellen wir 30 %, ab 1 Woche 50 % des Tagungsbeitrags in Rechnung. Die Stornierung muss schriftlich an die Geschäftsstelle in München erfolgen. Wir informieren Sie gern über weitere Veranstaltungen. Der Zusendung können Sie selbstverständlich jederzeit über info@gaed.de oder postalisch widersprechen (siehe auch www.gaed.de/datenschutz).
Unterkünfte in der Nähe:
Tourist Information im ICE- Bahnhof Wilhelmshöhe (0561) 340 54 info@kassel-marketing.de |
Günstige Mehrbettzimmer Hotel Genius www.hotelinkassel.de |
Günstige Unterkünfte in Kassel und Umgebung über folgenden Link www.bedandbreakfast.de/kassel |
Telefonische Vermittlung von Privatquartieren Frau Herppich (0561) 202 18 87 |
Jugendherberge Kassel Schenkendorfstraße 18 34119 Kassel |
Wie kommen die klassischen Schmerzpatient:innen zu Ihnen in die Klinik, welche Vorgeschichte bringen sie mit?
Sie haben einen langen Weg hinter sich und sind durch den chronischen Schmerz auf vielen Ebenen ihres Seins beeinträchtigt. Unimodale ambulante Therapien mit Krankengymnastik, Schmerzmittel o.ä. helfen nicht (mehr), oder Medikamente zeigen belastende, unerwünschte Wirkungen. Patient:innen kommen oft mit Opioiden in die Klinik, manche brauchen zunächst einen Entzug. Nicht selten sind es Menschen, die hohe Ansprüche an ihre berufliche und private Leistungsfähigkeit haben. Und an ihre Leidensfähigkeit, denn sie haben viele Zeichen ihres Organismus nicht wahr oder ernst genommen. Dann kommt der Schmerz als Wachmacher, als Helfer. Er kann nicht umgangen werden, er bekommt die ganze Aufmerksamkeit und häufig kippt die Waage von der Leistungsfähigkeit in die Ohnmacht.
Würde der Patient Ihnen das so schildern?
Nein. Die meisten Menschen erleben und bewerten ihren Schmerz als physisch und wollen wieder „funktionieren“. Bei akuten Schmerzen sind Schmerzmittel ja ein Segen. Doch bei chronischen Schmerzen versagen sie häufig, wenn sie das einzige therapeutische Mittel darstellen. Von dem inzwischen gut untersuchten Zusammenhang zwischen chronischen Schmerzen und Depressionen, Angst, beruflichen oder privaten Belastungen, haben viele Menschen noch nie gehört. Es fällt ihnen schwer, einen Zugang zu diesen Themen zu finden. In den 16 Tagen hier in der Klinik möchten wir die Menschen auf ihr Innenleben neugierig werden lassen. Der typische Satz lautet: „Wenn der Schmerz weg ist, dann werde ich ... “ Nein! Es geht um einen Weg, jetzt, mit und trotz des Schmerzes. Dazu gehört, wieder Vertrauen in den Körper zu finden.
Der Schmerz ist also ambivalent: Er ist der Auslöser für einen Veränderungswunsch, aber er ist auch der „somatisch legitime“ Haltepunkt für unbewusste, schwerer anzugehende Lebensthemen. Wie kommt man aus dieser Zwickmühle?
Wichtig sind die Erlebnisse in den verschiedenen Therapien, die den Menschen in Bewegung bringen, innere und äußere Bewegung. Erlebte Schmerzreduzierung in der Musiktherapie, Entspannung im warmen Wickel oder berührt werden in der Gesprächstherapie bilden Freiräume, Innenräume. Patient:innen erleben: Es gibt etwas in mir, das ohne den Schmerz sein kann. Das sind erste Inseln. Es bleibt die Schwierigkeit, diese Inseln in den Alltag zu retten. Unsere Angebote zielen auf die Selbstermächtigung, auf die ersten Schritte, die jeder selbst tun kann, um in Bewegung zu kommen. Dazu gehört auch die Schmerz-Affekt-Differenzierung: Können Patient:innen neben dem Schmerz auch Gefühle wie Trauer, Angst oder Wut erleben?
Das hört sich nach einem langen Prozess an?
Viele Menschen kommen drei bis viermal in die Klinik, andere einmal im Jahr. Auch eine ambulante Psychotherapie, einer der nachhaltigsten Wege nach meiner Erfahrung, kann den Prozess sehr unterstützen. Eine Lebensverbesserung kann jedoch schon eintreten, wenn man eine Distanzierung zum Schmerz erreicht: „Schmerz, du bist da, aber ich mache meine Sache trotzdem!“ Oft führt die Frage nach dem Warum und Woher nicht weiter. Die letzten Gründe sind vielleicht unauffindbar und wichtig bleibt: Wie komme ich in eine Veränderung? Der Schmerz bindet die Aufmerksamkeit und lähmt damit den Willen; sich bewegen und innerlich bewegt werden stärkt ihn.
Worin liegt die erweiterte Kompetenz der Anthroposophischen Medizin in der Schmerztherapie?
Auch die klassische multimodale Schmerztherapie bietet mit Psychotherapie, Physiotherapie oder Entspannungstechniken gute Angebote. In der Anthroposophischen Medizin haben wir ein körperlich-seelisch-geistiges Menschenbild und greifen in eine breitere Klaviatur: differenzierte Anthroposophische Arzneimittel, äußere Anwendungen, Kunsttherapien, Musiktherapie, Heileurythmie. Zur Heilung ist immer auch ein Beziehungsgeschehen, ein äußeres wie inneres Berührtwerden. Diese Beziehungsräume bieten wir vorrangig in Gruppen an. Sich in Gruppen zu erleben, zu spiegeln und darin zu bestehen ist deshalb wichtig, weil die Krankheit mit Vereinsamung einhergeht. Sozial ausgeschlossen zu sein, am Arbeitsplatz oder privat, ist einer der wichtigsten Chronifizierungsfaktoren.
Sie sind Mitglied im Vorbereitungskreis und Referentin auf der GAÄD Herbsttagung. Welche Intention verfolgen Sie, wann würden Sie sagen: „Ja! Das wollte ich aufzeigen.“
Ich wünsche mir, dass die ambulant tätigen Kolleg:innen erfahren: Ich muss und kann das nicht alleine lösen. Die Komplexität des Krankheitsbildes erfordert interprofessionelle Zusammenarbeit. Und hier kommt unser aller Übungsfeld ins Spiel: Die Zusammenarbeit, das Soziale wird immer herausfordernder. Wenn wir es jedoch schaffen, ein gutes Team zu bilden, kommen diese Kräfte wieder den Patient:innen zu Gute. Das kennen wir aus der Supervision oder der Fallbesprechung. Gerade die Menschen mit chronischen Schmerzen leiden unter Vereinzelung und einer verminderten Fähigkeit in der Begegnung. Unsere im Sozialen aufgebrachte Kraft hat für sie eine besondere Bedeutung. In meiner Abteilung im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe erlebe ich viel Unterstützung auf dieser Ebene! Wir streben im Team nach angemessener und wertschätzender Zusammenarbeit, um einen guten therapeutischen Raum zu schaffen.
Welche Arbeitsformen haben Sie vor diesem Hintergrund in der Herbsttagung aufgegriffen?
Wir legen neben den Vorträgen mit vertiefenden Inhalten einen weiteren Schwerpunkt auf interdisziplinäre Gesprächsräume und Austausch. Aus vergangen Tagungen wissen wir, wie wohltuend der Wechsel zwischen Aufnehmen und Vertiefen im kollegialen Gespräch ist.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Klinger.