Mistel bei Pankreaskarzinom: keine erkennbare Verbesserung
Gute wissenschaftliche Arbeit heißt auch, negative Ergebnisse als Erkenntnis zu akzeptieren. Leider zeigt die randomisierte, Placebo-kontrollierte MISTRAL-Studie zur Misteltherapie des Pankreaskarzinoms hinsichtlich Überlebenszeit und Global Health der Lebensqualität keine Hinweise auf eine Verbesserung im Vergleich zur Placebobehandlung.
![mistel-pankreas](/sites/default/files/styles/large/public/2024-06/Mistral-Studie.jpg?itok=vqykEnZJ)
Im Deutschen Ärzteblatt wurde Ende Mai die randomisierte, Placebo-kontrollierte MISTRAL-Studie zur Misteltherapie des Pankreaskarzinoms international veröffentlicht.
Ermutigenden Resultate aus der Mistelforschung (z.B. MAPAC-Studie) ließen hoffen, die Mistel könne die Behandlung onkologischer Erkrankungen, insbesondere des Pankreaskarzinoms, verbessern. Entsprechend untersuchte die mit moderner Methodologie und Qualitätssicherung durchgeführte MISTRAL-Studie, ob die Misteltherapie bei Patient:innen mit einem Pankreaskarzinom nicht tatsächlich die Beschwerden lindern und damit allgemein einen wichtigen Beitrag zur palliativen Versorgung leisten kann.
Die Studie wurde mit 290 PatientInnen in 9 schwedischen Krebszentren durchgeführt. Sie lief gut, Compliance und Kooperation aller Beteiligten war beachtlich und es gab erstaunlich gute Langzeitverläufe.
Allerdings entsprachen die Ergebnisse nicht den Erwartungen, die die älteren Studien annehmen ließen. Therapie, Dosierung, individuelle Anpassung, Lokalreaktionen und Dauer der Behandlung waren wie erhofft und wie empfohlen. Aber hinsichtlich Überlebenszeit und Global Health der Lebensqualität konnten keine Hinweise auf eine Verbesserung im Vergleich zur Placebobehandlung festgestellt werden. Eine Suche nach möglichen Fehlerquellen und die erneute Überprüfung der Qualität änderten nichts am Ergebnis. Daher ist es insgesamt unwahrscheinlich, dass die Mistelextrakte in der Studie einen relevanten, größeren Effekt auf das Pankreaskarzinom hatten. Da ein fortgeschrittenes Pankreaskarzinom i.d.R. eine sehr schlechte Prognose hat, diese Krebsart wenig immunsensibel ist und nur begrenzt auf onkologischen Therapien anspricht, ist diese Ergebnis nicht überraschend. Verwunderlich ist der erhebliche Unterschied zu den Ergebnissen der MAPAC Studie.
Mistletoe extract in patients with advanced pancreatic cancer
a double-blind, randomized, placebo-controlled trial (MISTRAL)
K. Wode, G.S. Kienle, O. Björ, P. Fransson, L. Sharp, N.O. Elander, B.M. Bernhardson, B. Johansson,
C. Edwinsdotter Ardnor, U. Scheibling, J. Hök Nordberg, R. Henriksson
DtschArztebl Int 2024; 121: 347–54. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0080
Auch wenn die MISTRAL-Studie entgegen hoher Erwartungen aus älteren Studien (z.B. MAPAC) keinen Nutzen der Misteltherapie beim Pankreastumor belegt, zeigt sie aber, dass die Mistel keinen schädlichen Einfluss in dieser Situation hat. Der Befund der Studie, und das ist wichtig, spricht für den Geltungsbereich der Studie: das Pankreaskarzinom. Die Studienergebnisse sind nicht generalisierend übertragbar auf Mistelanwendungen bei anderen Tumoren.
Zudem ist die MISTRAL-Studie ein Beispiel für ein vorbildlich geplantes und durchgeführtes RCT aus der Anthroposophischen Medizin. Sie zeigt, „für die Öffentlichkeit deutlich, dass man im Kontext der A[nthroposphischen] M[edizin] an Forschung auf allen Ebenen interessiert und auch dazu imstande ist“ (H. Kiene). Dieser Punkt ist von großer Bedeutung gegenüber der bestehenden Forderung, die Anthroposophische Medizin solle wissenschaftlich im Sinne einer auf Evidenz basierten Medizin überprüfbar werden.
![Editorial Mistral](/sites/default/files/styles/large/public/2024-06/Editorial%20zur%20Studie.jpg?itok=3wvLEvN0)
Ergänzend beschreibt Prof. Dr. med. Thomas Seufferlein (Vorstand der Deutschen Krebsgesellschaft und Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Ulm) in seinem Editorial zur Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts die MISTRAL-Studie als eine modern konzipierte und versorgungsnahe Studie zur Verwendung von Viscum album beim fortgeschrittenen Pankreaskarzinom mit sehr robusten Daten, die sich dadurch auszeichnet, dass sie randomisiert, doppelt blind und placebokontrolliert durchgeführt wurde und eine standardisierte Palliativtherapie für alle Patientinnen und Patienten vorsieht.
Er betont, dass in einem Cochrane Review im Jahr 2008 dazu aufgerufen wurde, unabhängige klinische Studien durchzuführen, um die Sicherheit und Wirksamkeit einer Misteltherapie zu untersuchen, und hebt hervor, dass genau das die Kolleginnen und Kollegen aus Schweden und Deutschland getan haben.
Auch wenn sich durch die MISTRAL-Studie zeigt, dass sich die Mistel in die zahlreichen Substanzen einreiht, die das Überleben der Patientinnen und Patienten mit dieser Erkrankung und ihre Lebensqualität nicht verbessern, Wissenschaftlichkeit wird, entgegen mancher Vorwürfe, in der anthroposophisch-medizinischen Forschung ernstgenommen.
Die Mistel und das Pankreaskarzinom
T. Seufferlein
Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 345-6; DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0099
Real-World-Data-Studien zur Misteltherapie bei Lungenkrebs
Neben dem Ergebnis der MISTRAL-Studie gibt es aber auch wissenschaftlich belegbare Erfolge der Misteltherapie, die nicht von der Hand gewiesen werden können.
Hier spielen vor allem die Studien zu Real-World Data (RWD) von Friedemann Schad et al. (GKH Havelhöhe) eine entscheidende Rolle. RWD-Studien liefern Ergebnisse zu wissenschaftlichen Fragestellungen auf der Basis realer medizinischer Alltagssituationen und werden zunehmend als wichtige weitere Datenquelle neben randomisierten kontrollierten Studien (RCT) berücksichtigt.
Real-World Evidenz (RWE) berücksichtigt reale Verhältnisse in der Anwendung von Medikamenten und ergänzt klinische RCTs um Erfahrungen aus der Versorgungsforschung. Die so gesammelte Real-World-Data kann die Daten zur Wirksamkeit aus klinischen Studien komplementieren.
![RWE](/sites/default/files/styles/large/public/2024-06/SchadRWE.jpg?itok=rLVemlmF)
RWD-Studien nehmen als Forschungsfaktor zu. Die Europäische Arzneimittelbhörde (EMA) ermutigt dazu, Real-World-Data zu erheben und zu nutzen. Der Umgang mit Covid-19 basierte zum Teil auf RWD. Klinische Forschung zur Pandemie war in der Kürze der Zeit und von den Kapazitäten her nur selten möglich. Covid-19 wurde gewissermaßen zur Triebfeder, Real-World Evidenz mehr in die Forschung zu integrieren.
Real-World Evidenz (RWE) wird zunehmend in die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln einbezogen. Es ist anzunehmen, dass RWE künftig dazu beitragen, Zulassungsverfahren zu beschleunigen. Die Definitionen von RWE sind vielfältig und spiegeln die dynamische Entwicklung in diesem Bereich wider. Bisher umfasst RWE Informationen, die aus routinemäßig gesammelten Daten über den Gesundheitszustand von Patient:innen und/oder die
Gesundheitsversorgung aus verschiedenen Quellen stammen, die nicht aus traditionellen klinischen Studien kommen, wie elektronischen Gesundheitsakten, Versicherungsansprüchen, patientengenerierten Daten, einschließlich Daten aus häuslichen Anwendungen, von mobilen Geräten sowie aus Patient:innen-, Produkt- und Krankheitsregistern.
RWE wurde bereits in verschiedene Zulassungsverfahren von Regulierungsbehörden einbezogen, was die Akzeptanz und wachsende Bedeutung bei der Bewertung und Beschleunigung neuer Therapien widerspiegelt. Da sich die RWE-Forschung noch im Übergangsprozess befindet, ist künftig eine abgestimmte Definition zu erarbeiten, um die Implementierung von Real-World-Data zu erhöhen und ggf. die Integration in Leitlinien zu entwickeln.
Real World Evidence – Current Developments and Perspectives
F. Schad, A. Thronicke
Int. J. Environ. Res. Public Health 2022, 19(16), 10159
https://doi.org/10.3390/ijerph191610159
F. Schad und Kolleg:innen haben in einer Real-World-Data (RWD)-Studie Lungenkrebserkrankungen untersucht, mit dem Ziel, anhand der ausgewerteten Überlebensdaten von Patient:innen den Einfluss einer Misteltherapie zusätzlich zur Behandlung mit Immuntherapie (PD-1/PD-L1 Inhibitoren) auf das klinische Therapieergebnis zu beurteilen.
![RWD Lungenkrebs](/sites/default/files/styles/large/public/2024-06/SchadRWD24.jpg?itok=xse4GGW-)
Insgesamt wurden 415 Patient:innen in die Studie aufgenommen, von denen 193 (Kombinationsgruppe) eine mit Mistelextrakten kombinierte Immuntherapie (Anti-PD-1/PD-L1-Therapie) und 222 (Kontrollgruppe) nur eine Immuntherapie (Anti-PD-1/PD-L1-Therapie) erhielten.
Die Patient:innen in der Kombinationsgruppe lebten sieben Monate länger (durchschnittliche Überlebensdauer 13,8 Monate) als die Patient:innen in der Kontrollgruppe (durchschnittliche Überlebensdauer 6,8 Monate) und das Sterberisiko wurde signifikant um 40 Prozent gesenkt. Es reduzierte sich um weitere 16 Prozent bei Patient:innen mit PD-L1-positiven Tumoren, die mit einer Kombination aus Erstlinien-Anti-PD-1/PD-L1-Therapie und Misteltherapie behandelt wurden.
Die Ergebnisse dieser Studie sprechen klar für die Mistel als Zusatztherapie. Die Ergebnisse belegen nicht nur eine erhöhte Lebensdauer bei den Patient:innen, die zusätzlich mit der Mistel therapiert wurden, sondern auch eine erhöhte Überlebenschance. Demnach hat die ergänzende Misteltherapie einen signifikant positiven Einfluss auf die Lungenkrebsbehandlung.
Patients with Advanced or Metastasised Non-Small-Cell Lung Cancer
with Viscum album L. Therapy in Addition to PD-1/PD-L1 Blockade:
A Real-World Data Study
F. Schad, A. Thronicke, R.-D. Hofheinz, H. Matthes, C. Grah
Cancers (Basel). 2024 Apr 22;16(8):1609. doi: 10.3390/cancers16081609.
PMID: 38672690; PMCID: PMC11049173
![RWD LQ](/sites/default/files/styles/large/public/2024-06/SchadRWD23LQ.jpg?itok=423G56OW)
In dieser RWD-Studie aus dem Jahr 2023 wurden Veränderungen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Lungenkrebspatient:innen untersucht, die zusätzlich zur Standard-Strahlentherapie mit Mistelpräparaten behandelt wurden.
Insgesamt 112 Lungenkrebspatient:innen aller Stadien beantworteten eigenständig Fragebögen bei Erstdiagnose und 12 Monate später. Die Auswertung der Veränderungen der Lebensqualität zeigte eine signifikante Verbesserung für Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen bei Patient:innen, die eine Kombination aus radioonkologischer Bestrahlung und Misteltherapie erhielten.
Darüber hinaus zeigten sich Verbesserungen für die Rollenfunktion, die körperliche, die kognitive und die soziale Funktionsfähigkeit bei Patient:innen, die mit einer Standardtherapie ohne radiologische Bestrahlung behandelt wurden und eine additive Misteltherapie erhielten.
Unerwünschte Nebenwirkungen der Misteltherapien wurden nicht beobachtet und die Befunde der Studie passen zu Ergebnissen einer anderen randomisierten kontrollieren Studie zu Lungenkrebs. Zusätzlich zeigt die Studie, dass eine alleinige radioonkologische Behandlung keine signifikanten Verbesserungen der Lebensqualität der Patient:innen zur Folge hat. Solche im Vergleich positiven Effekte der additiven Misteltherapie verlangen nach weitere Studien zur komplementären Krebsbehandlung dieser Art.
Evaluation of quality of life in lung cancer patients receiving radiation and Viscum album L.:
a real-world data study
F. Schad, D. Steinmann, S.-L. Oei, A. Thronicke, C. Grah
Radiat Oncol. 2023 Mar 6;18(1):47. doi: 10.1186/s13014-023-02234-3
Diese Ergebnisse reihen sich in die Ergebnisse früherer RWD-Studien ein und zeigen, wie wichtig die Forschung zur Misteltherapie von verschiedenen Seiten ist, unter Berücksichtigung von Real-World-Evidenzen und im Rahmen von randomisierten kontrollieren Studien (Bsp. MISTRAL).
Berücksichtigt man also bei Datenquellen (RCT und RWD) parallel, können die Relevanz z.B. der Misteltherapie besser abgebildet und Evidenzen möglichst wirklichkeitsnah herausgearbeitet werden.